Ballroom

 

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Die Englische Art: Möwen, Meer und Foxtrott - Tanzen am Atlantik.

Text: Kerstin Lange       Fotos: Helmut Römhild

Quotes

Was war das denn? Der Tanzbär? Sehr elegant!

Alle lachen, das Publikum im Studio und ich auf der Couch vorm Fernseher.
Denn nicht wir beziehen die Prügel von der Wertungsrichterin Arlene Phillips sondern John Sergeant, politischer Kommentator und hochangesehener Journalist.
John Sergeant lacht nicht.
Vermutlich dämmert ihm gerade, daß es keine gute Idee war, sich einen Frack anzuziehen und vor laufenden Kameras einen Walzer zu tanzen, zusammen mit einer Profitänzerin, die bestimmt 30 Jahre jünger ist als er.

Es ist Samstag,

18:30 Uhr. Ein großer Teil der englischen Fernsehzuschauer dürfte jetzt nicht mehr zu sprechen sein: Die nächste Stunde gehört ‘Strictly’,
genauer gesagt ‘Strictly Come Dancing’, die große Tanzshow der BBC.

Hier tanzen Prominente mit Profis und versuchen, bis in die Endrunde zu kommen.
Über 12 Millionen Zuschauer verfolgten das Finale 2007 und für dieses Jahr wird eine noch größere Zahl erwartet.

Promis zu hauen ist geradezu ‘Strictlys’ Markenzeichen und ohne Gnade zerlegen die Wertungsrichter jeden Fehler, der in den 1 1/2 Minuten Standard oder Latein passiert.

Überall auf der Welt laufen mittlerweile ähnliche Sendungen, doch ‘Strictly’ ist das Original und steht damit für die Englische Art des Tanzens.

Aber ist das wirklich die Englische Art? Hat es überhaupt etwas mit dem zu tun, was auf Englischem Parkett passiert? Genau das will ich herausfinden.

 


MaisieTylersSchoolOf Dancing

Bob und Brenda, Elaine und Ray, Linda und Barry, Kerstin, George und Val.

Montag abend, 18:30 Uhr.

Ich fahre nach St. Columb Minor. Ein wuchtiger Kirchturm aus dem 15. Jahrhundert ist Sehenswürdigkeit und Wegweiser zugleich, unmöglich also, sich zu verfahren.
Doch gerade mache ich etwas mit meinem Wagen, das stark an einen Tango Chase erinnert.
Am Ende der Church Street, dort wo es dann wirklich eng wird, habe ich einen Tanzpartner gefunden, ein Typ in einem Toyota Pickup Truck, dem zwei oder drei Surfbretter über die Ladefläche hängen. So wie ich versucht er, die enge Strasse zu nehmen, ohne seinen und meinen Wagen zu demolieren.
Beide haben wir offenbar unseren guten Tag erwischt, was wir hier auf der Strasse zeigen wäre eine glatte ‘2’ auf jeder Tanzfläche.
Wir winken uns zu, dann sehe ich das Schild ‘Car Park’, noch einmal wir es richtig eng — und dann sind wir angekommen.

Immer Montags

verwandelt sich St. Columb Minor Church Hall in einen Ballsaal — der kleinste, den ich je gesehen habe, deutlich kleiner noch als der Parkplatz davor, aber mit Sicherheit einer der romantischsten, die ich kenne.

 

Die Kirche ist aus dem 15. Jahrhundert,

hinter der Church Hall liegt der alte Friedhof. Über uns kreisen Möwen - die Atlantikküste kann man von hier zu Fuß erreichen ...

Die Kirchturmuhr schlägt dreimal. Ich bin sehr nervös.
Vorgestern haben sie den bekannten Fernsehkoch Gary Rhodes bei 'Strictly' durchfallen lassen.
Sollte jemand hier meine Fußarbeit ebenfalls als 'platt wie Pfannkuchen' bezeichnen: das wäre peinlich.
Vielleicht gibt es hier in St. Columb Minor Church Hall auch jemanden wie Craig Revel Horwood, der mir dann erklärt: “Wie wäre es, wenn Sie an Ihrem Problem mit dem krummen Rücken arbeiten... ”

Ich bin nicht mehr so sicher,

ob es eine gute Idee war, sich einfach in eine Tanzstunde zu drängeln, um die echte englische Art kennenzulernen.

Immerhin, hier ist Großbritannien - hier schlägt das Herz des englischen Stils, hier ist der Ursprung des modernen Tanzsports.


Gleich treffe ich meine Wertungsrichter — 10 beigeisterte und erfahrene Tänzer.
Wie werden Sie mich bewerten “typisch Deutsch”? Habe ich feuchte Hände?

Die Kursleiter, George und Valerie,

fahren als erste auf den Parkplatz. Sie wissen schon, daß wir kommen. Wir haben Maisie Tyler, die Besitzerin der Tanzschule, besucht und sie gefragt, ob wir teilnehmen können. Sie hat uns angekündigt: Urlauber aus Deutschland.

“Zwei Paare können nicht kommen, die einen sind verreist und ein anderer hatte gerade erst eine Operation am Auge,” erklärt Val. Sie bringen das Übliche mit: CDs, Schuhe, Getränke.

Dann stehen wir im Saal. Ja, das wird eng werden, sehr eng. Dann sehen wir das Parkett, deutlich kleiner zwar als unsere Trainingsflächen, aber aus einem wundervollen hellen Holz. Es sagt: ‘Komm tanz auf mir!’

Schließlich kommen Bob and Brenda, Elaine and Ray, Linda and Barry. Sie wundern sich
“Aus Deutschland? Hier in Urlaub? Und Ihr wollt mit uns tanzen?”


The Farmer's Arms in St. Columb Minor, gleich um die Ecke von der Church Hall. Durstige Tänzer haben hier Gelegenheit, verlorene Flüssigkeit zu ersetzen..

St. Columb Minor,

ist heute, wie auch der Nachbarort Porth, mit der Stadt Newquay verschmolzen.
Newquay ist eines der großen Seebäder Englands und auch im europäischen Vergleich vorn. Die Stadt prägt ohne Zweifel alles in ihrem unmittelbaren Umfeld — dennoch konnte St. Columb Minor, ein Ort dessen Geschichte bis in's 11. Jahrhundert zurückzuverfolgen ist, immer seinen besonderen Charakter erhalten.

Tanzschulen

gibt es in den großen und bedeutenden Städten wie Truro, St. Austell und Newquay.
Doch Cornwall besteht auch aus abgelegenen ländlichen Gegenden. Um auch hier den Interessierten Kurse anbieten zu können halten die Schulen jede Woche Stunden in den kleinen Orten ab, sofern entsprechende Säle zu Verfügung stehen.

Val legt Musik auf und los geht's —  Langsamer Walzer, bitte.

Ich habe das Gefühl, alle schauen auf unsere Füße, habe aber sofort ganz andere Probleme.
Das Parkett ist so klein, schon nach wenigen Schritten sind wir am Ende und bremsen gerade noch vor der Wand.

“Es ist sehr schwierig, hier für die lange Seite eines Saals zu üben, ” sagt Brenda. “Du mußt die Figuren teilen und in der Ecke neu starten.“ Der Walzer klappt gut, wir schaffen auch einen schmissigen Tango und beenden die Runde mit einem schönen Quickstep.

Jetzt hört der Spaß auf.

“Slow Fox: Federschritt, Telemark, Dreischritt, Linksdrehung, Rechtsdrehung. Wißt Ihr noch?”
Offen gesagt, nein. Zu Hause üben wir gerade an einer Choreographie, aber dies hier ist neu für uns.
Val übernimmt meinen Mann und geht mit ihm die Figuren durch.

Ich stehe mit George auf dem Parkett. “Alles kein Problem, ” sagt er. “laß Dich einfach führen.” George hatte mit dem Tanzen in den 'Swinging Sixties' angefangen, aber schon vor längerer Zeit wieder aufgehört. “Ich wundere mich, wie viel ich noch von damals behalten habe. Durch das Üben kommt es alles wieder.”

George hat es nicht leicht mit mir,

ich trete ihm auf die Füße und behalte die Abfolge nicht.
Aber er ist ein geduldiger Trainer. Und plötzlich geht es viel besser.

Alle schauen zu und feuen sich, als es auf einmal funktioniert.

“Es ist toll, wenn man sieht, wie da ein Licht aufgeht und die Sache dann klappt,” meint Brenda.

Danke, Brenda. Doch offen gesagt ich habe mit dem aufgehenden Licht so meine Zweifel.
Zum Glück ist das aber auch alles gar nicht so wichtig.


Wirklich wichtig ist, daß wir uns hier wohlfühlen, wie unter alten Bekannten. Alle sind entspannt und gut gelaunt, Jeder hilft dem Anderen.

Am Ende der Stunde

bezahlen wir 4 £ für uns beide — das ist geschenkt, wenn man bedenkt, wieviel Spaß wir hatten und was für nette Leute wir kennengelernt haben. Wir verabschieden uns nur ungern.

Der Parkplatz leert sich, in der Church Hall gehen die Lichter aus, es beginnt zu regnen.

Tanzen ist sehr beliebt in Großbritannien.

Trotzdem gibt es hier die gleichen Probleme wie bei uns: Heute abend waren nur ältere Paare hier — leider keine Ausnahme.

“Es gibt nur noch wenig junge Paare, die Tanzstunden nehmen. Wenn überhaupt, dann Latein. Oder Free Style, Hiphop, Breakdance. In Großstädten oder in London ist es vielleicht anders, aber hier in Newquay geht es um das Surfen und um das Strandleben,” erzählt uns Maisie Tyler.

Als sie in den Fünfziger Jahren anfing, in Newquay zu unterrichten, gab es in der Hochsaison jeden Abend einen Ball im ‘Blue Lagoon Ballroom’. Heute jedoch kommen die Touristen nicht, um zu tanzen, sondern um zu surfen oder um die internationalen Wettbewerbe der Wellenreiter zu sehen.

Newquay leuchtet auch an diesem Abend und der Himmel im Westen ist gelb-orange von den Lichtern der Stadt.

Es ist jetzt ganz still geworden. Und wir sind in diesem Moment fest davon überzeugt, daß wir es bis hierher hören können: Die Brandung des Atlantik, die sich am Strand bricht...

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Aktualisiert: 10.11.2008