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Weltklasse: Werner Führer – Gespräch mit einer Legende.
Text: Kerstin Lange
Fotos: Portraits Werner Führer: Helmut Römhild / andere: zur Verfügung gestellt von Werner Führer
Jahrelang an der Spitze zu stehen, die 10 Tänze ebenso auf Weltklasseniveau zu beherrschen wie das Tanzen in der Formation –
das ist ist heute deutlich schwieriger wenn nicht sogar unmöglich geworden.
Grundschritte und Standardfiguren so zu beherrschen, daß über bzw unterdreht werden kann –
das ist Floorcraft, also jedes Parkett in seinen speziellen Eigenheiten mit Erfahrung,
Geschicklichkeit und vorausschauender Phantasie zu nutzen, sich zu fragen: Wer wird sich wohin bewegen, wo ist für uns Platz?
Und was aus anderem Mund wie ein Klischee wirken könnte, von Werner Führer kommt es so echt, wie es nur sein kann:
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Werner Führer
zusammen mit Ehefrau Ingrid Wie kaum ein anderes Paar haben Ingrid und Werner Führer auf Schulungen im In- und Ausland ihren Standpunkt zum Tanzen deutlich gemacht. |
Floorcraft
“Darstellung des eigenen Könnens und erlernten Bewegungsablaufs, ergänzt durch kreatives und flexibles Improvisieren im Falle von Störungen von außen”. (Wertungsrichterschulung, 2001)
Ingrid und Werner Führers Tanzparkett war nicht immer ideal, also groß und frei.
“Die Führers wollen den Kram hinwerfen” war zwar eine Falschmeldung, hatte jedoch einen bitterernsten Hintergrund.
als Ingrid und Werner Führer souverän die Führung übernehmen – die langjährige Dominanz
Grossbritanniens erscheint so gut wie beendet.
Da entscheidet sich ausgerechnet der ‘Deutsche’ unter den Wertungsrichtern, statt der erwarteten 1 eine 2 zu vergeben.
Publikum und Tänzer sind schockiert,
der damalige Bundestrainer Wolfgang Opitz machte sich Luft:
“Das kann nicht wahr sein! Ein ganzes Jahr Training umsonst. Ihr Quickstep hat die Platzziffer Eins verdient.
Warum drückt ausgerechnet der deutsche Wertungsrichter das deutsche Paar?” (Hamburger Abendblatt vom 27.10.1975)
Ein Fehler beim Mitrechnen deklassiert die Spitzenleistung der Führers, verweist ihren Auftritt auf den 2. Platz;
und zerstört in wenigen Momenten mehr als nur die Arbeit eines Jahres.
Die Tanzsportkarriere spielte am Anfang nicht die grosse Rolle: Als Diplom-Finanzwirt arbeitet Werner Führer in der Hamburger OFD,
beginnt 1963, im TTC Harburg zu tanzen.
Das ‘Tanzparkett’ ist in Bewegung, die 60er Jahre günstig für Tänzer,
aus Tanzclubs werden Sportvereine, in Hamburg schliessen sich HTV und HATV zum Landesverband HATV zusammen.
Wer tanzen will und tanzen kann, ist gut aufgehoben, man kennt sich: Der HATV Vorsitzende Hans Christen ist auch Mentor der Deutschen Sporthilfe,
der spätere Vorsitzende Heinz Riehn kämpft mit Werner Führer um den Platz eins im Anfängerkurs der Tanzschule.
Werner Führer tanzt erfolgreich in der TTC Formation, die Bundeswehr jedoch macht einen Strich durch die Rechnung: Wehrdienst,
Werner Führer und seine Partnerin trennen sich.
Bundestrainer Opitz bringt Werner Führer mit einer neuen Dame zusammen,
wahrscheinlich ohne in diesem Moment zu ahnen,
daß er gerade das erfolgreichste Tanzpaar Deutschlands an den Start bringt, Ingrid und Werner Führer:
Sich anbieten.
“Tanzen ist eine visuelle Kunst, deshalb ist das Bild, das von den Paaren dargeboten wird, von großer Bedeutung. Die Paare haben sich den Wertungsrichtern anzubieten.” (Wertungsrichterschulung, 2001)
Wer tanzt, tritt auf: In letzter Konsequenz bedeutet dies, kämpfen zu wollen, antreten zu wollen, sich in allen Arenen stellen, aufzutreten – immer wieder.
Selbst in Kapstadt, damals noch unter schwierigen politischen Bedingungen, waren wir mit der Formation 1972.
Sydney, Montreal, New York, Rio de Janeiro, Tokio ...”
1966 stellen sich die Führers zum ersten Mal in Blackpool dem wirklichen internationalen Wettkampf und sind von da an überall dabei,
wo sich die Besten messen.
Was zählt ist, zu tanzen, zu arbeiten, beharrlich, kontinuierlich.
“Wir geben nicht auf” – nicht nur eine Schlagzeile aus dem Hamburger Abendblatt von 1975, auch ein Stück ‘Programm’.
1976 kommt der überfällige Weltmeistertitel der Amateure, jetzt in der ‘Kombination’, das heißt in den 10 Tänzen.
Doch damit nicht genug: nach dem Wechsel ins Profilager 1980 brechen die Führers auch dort die Britische Dominanz,
die internationale Tanzelite muß sich daran gewöhnen, daß von nun an auch Deutschland auf dem Treppchen steht.
“Die ersten drei Profi-Paare von 1976 bis 1979 waren im Grunde immer Gleave, Barr, Kezuka und Yamamoto. Aber dann kam der Durchbruch.
Eigentlich unser schönster Erfolg. Wir kamen 1980 in Perth, Australien, auf Platz drei bei den Weltmeisterschaften.”
Und auf Platz zwei der Weltmeisterschaft über 10 Tänze. 1981 dann Platz 2 der Weltmeisterschaft Standard und über 10 Tänze.
“1982 waren wir in New York wieder nur Vierter und Fünfter und zweimal kamen wir in Japan nicht einmal ins Finale. Insgesamt aber waren wir von 1978 bis 1985 immer unter den ersten Fünf der Weltrangliste.”
Werner Führer hat ein Zeitungsfoto aus dem Jahr 1985 mitgebracht.
Zwei Paare tanzen den Wiener Walzer, Barr und Führer, nahezu synchron die Bewegungen, der Schwung der Kleider, die Linien,
es könnte eine Spiegelung sein ...
“Wir sind außen,” sagt Werner Führer und da ist doch ein bißchen Stolz in seiner Stimme. “Sehen Sie?
Wir überholen die Engländer gerade auf dem Außenkreis.”
Umsetzen der Musik in Bewegung.
“Charakteristik heißt alles, was die Musik hat und will: Sie will gemolken, ausgequetscht und genutzt werden. Sie will geliebt werden, gestreichelt und nicht geschlagen! Musik heißt, sie als Bewegung im Raum auf der Fläche wahrnehmen zu können, störungsfrei und ohne Löcher.” (Wertungsrichterschulung, 2001)
Nur dann gilt: Was gut aussieht, ist auch gut. Und gut aussehen heißt: Deutlich, klar – für den Zuschauer offen sichtbar,
ohne Mühe erkennbar.
Ab 1980 wird Werner Führer vom Dienst in der OFD beurlaubt, für den Profi gibt es keine andere Wahl,
als sich ausschließlich dem Sport zu widmen.
Den Schritt vom Finanzbeamten, der gut tanzt, zum Profi fällt ihm leicht.
“Es gab schon das eine oder andere ein Jahr, zum Beispiel 1974, in dem wir jeden Tag trainiert haben.
Der Schritt war kein so großer mehr, die Zeit war reif.”
Wolfgang Opitz und Gerd Hädrich, Bill und Bobby Irvine, Benny Tolmeyer, Anthony Hurley trainieren die Führers.
Sie beherrschen alle Formen des sportlichen Tanzens: Latein und Standard, Paartanz und Formation.
Ingrid und Werner Führer sind die ersten Tanzsportler, die sportmedizinisch untersucht werden.
Ihre Werte sind vergleichbar mit denen von 400-Meter-Läufern – und mit denen des Tour de France Siegers Eddy Merckx.
1982 sieht der Alltag von Ingrid und Werner Führer so aus:
Zwei bis drei Stunden tägliches Training,
einmal im Monat Training in Großbritannien, denn ohne den English Style, wie er in den Studios der Insel vermittelt wird,
kann kein Turniertänzer Karriere machen.
Unterricht als Landestrainer und in den Vereinen, Schautänze und Preisgelder bringen den Lebensunterhalt.
Tanzen hat einen anderen Stellenwert als heute, ist in den Medien präsent, die großen Veranstaltungen werden zur besten Sendezeit
im ZDF übertragen.
Ingrid und Werner Führer sind bald ausgebucht, müssen Angebote ablehnen.
Werner Führers Terminkalender ist immer noch randvoll
und es ist nicht ganz einfach, ihn zu interviewen,
schließlich treffen wir uns sozusagen auf halbem Weg, auf einen Kaffee im Holiday Inn an den Elbbrücken in Rothenburgsort.
Ehrennadeln und Auszeichnungen? Kaum mehr zu zählen.
Aber die Ehrennadel aus Holland, die wird nicht oft an ‘Ausländer’ verliehen, da kann man schon stolz sein.
Ämter? Vizepräsident des deutschen Profiverbands, Co-Bundestrainer, Verbandstrainer in Bayern, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt,
Gasttrainer in Hessen, Wertungsrichter, Trainer im TCH Harburg, bei Hannover Blaugelb, im TC Concordia Lübeck, CC Winsen, Rot-Weiß Gießen.
‘Seine’ Tänzer? Die Liste ist lang, er hat unter anderem Asis Khadjeh-Nouri, Christine Heitmann, Andrea und Frank Knief, Stefan Ossenkopp / Pia David und Klaus Gundlach trainiert.
Er betreut die holländischen Meister van Stakenburg, ebenso Rene und Ivonne Marquard, Anja Schramm / Marcus Weiss, und Cathrin Hissnauer / Stanislav Hermann, bringt Amateure und Profis weltweit auf den richtigen Weg,
auch in Moskau.
“Seit etwa 15 Jahren spielen die Russen im Tanzsport eine immer stärkere Rolle”, sagt Werner Führer.
Er trainiert Tänzer in den neuen Studios im Luzhniki Komplex, dem Moskauer Olympiastadion.
Wer dort unterrichtet, gehört zur internationalen Spitze der Trainer und akzeptiert für diese Berufung auch die eher bescheidene Bezahlung.
Tanzen kostet Geld, auch in Russland. Gelegentlich finden sich Sponsoren, meistens aber zahlen die Paare selbst.
Doch immer noch ist es Blackpool, das Werner Führer nicht losläßt. Noch heute ist es eine Ehre für ihn, dort als Wertungsrichter anzutreten. “Allerdings könnte ich mir vorstellen, dort jetzt aufzuhören”, so Werner Führer. “Und irgendwann doch einmal kürzer zu treten.”
©: Ballroom Website, 2009
Aktualisiert: 29.04.2009