Ballroom

 

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Physik im Standard-Tanzen: Haltung und Verbindung.

Gastbeitrag: Prof. Dr. Dierck-Ekkehard Liebscher     Redaktion: Kerstin Lange
Fotos:
Porträt Prof. Dr. Liebscher: Zur Verfügung gestellt von Prof. Dr. Liebscher
Übrige sowie Bearbeitung & Grafik: Helmut Römhild

 

Standard ist etwas Besonderes.

Es ist die einzige Tanzform, die sich zu einem echten Paartanz entwickelt hat. Nur hier verschmilzt das Paar zu einem Wesen auf vier Beinen.

Diese Verschmelzung hat ihren Preis: Die Bewegungsmöglichkeiten sind eingeschränkt, und viele, denen die Trauben zu sauer sind, erklären das als Mangel.
Die Verschmelzung hat aber ihren Lohn: Viele Bewegungen werden natürlich (am auffälligsten die Rechtsdrehungen), müssen gelenkt, aber nicht mehr gestartet werden.

Am Ende hat das Paar das Gefühl des Schwebens und des Fliegens. Das lernt man nur im Standard, und das ist denn auch das Bewegungsziel.

 

Meine Anmerkungen sind nicht als Belehrung für den gedacht, der es kann.
Wer eine Weile trainiert, hat das, was ich ausdrücken will, bewußt oder unbewußt längst im Körper und hat eher Sorgen mit dem Feinschliff seiner Bewegungen.

Die Anmerkungen sind mehr gedacht für den, der sich entschließen will oder entschlossen hat, es zu lernen, zur Ermunterung und Erklärung.

Warum soll ich mich so gerade hinstellen und die Ellbogen so weit ausfahren?

habe auch ich mich einst gefragt.
Es ist eben so, dass ein Kreisel einfach besser dreht, wenn er nicht aus Pudding ist, wenn er oben breit und unten schmal ist.
Also muss das Paar sich oben groß machen und darf nicht in sich zusammensinken oder gar die Füße hypnotisieren.
Ein rohes Ei kann eben nicht auf der Spitze kreiseln.

Die Forderung des Tanzlehrers nach einer großen und leicht gespannten, nicht steifen Haltung ist keine Schikane, sondern Notwendigkeit.
Es muss sich auch keiner schämen, wenn das nicht gleich klappt.
Laufen, Schwimmen und Radfahren lernt man auch nicht an einem Tag.

 

Professor Dr. Liebscher

Gastautor:
Prof. Dr. sc. nat.
Dierck-Ekkehard Liebscher

Physiker.
Mehr unter www.aip.de


Warum darf die Dame nicht direkt vor mir stehen, sondern leicht neben mir, wo sie mich noch nicht einmal ansehen darf?

Nun, nur so kann die Dame die Haltung wirklich schließen.
Sie hat dann zwei Punkte, die Gürtelschnalle des Herrn und seine rechte Hand, gegen die sich stützen kann.
Das muss sie aber auch tun, d.h. sie muss durch die leichte Kopfwendung einen leichten Linkszug erzeugen.
Wendete die Dame den Körper mit dem Kopf nach rechts, drehte sie aus der Haltung heraus.
(Führt der Herr durch Dehnen seiner rechten Seite in die Promenadenstellung, geht der Kopf der Dame nach rechts.

Auch ihr Körper wird dabei etwas gedreht, aber die Dame dreht nicht etwa selbst, vielmehr muss ihr Wunsch, in eine Linkswendung zu spannen, erhalten bleiben und den Promenadenschritt mit einer um so deutlicheren Linkswendung beantworten.)

Zum Anschmachten ist Standard nicht geeignet (leider, denk ich eigentlich immer noch). Dafür ist Standard ein Sport (und der einzige Sport überhaupt), bei dem man sich nicht loslassen muss, und das ist doch mehr als bloße Kompensation.

 


Warum soll ich immer so tief absenken, wenn es losgeht, sieht doch komisch aus, oder?

Absenken

Nun, Tanzen ist kein Kraftsport, und wenn es ungezwungen aussehen soll, muss die Bewegungsenergie irgendwoher kommen.

Die einzige Quelle, der man die Kraft nicht ansieht, ist das Absenken, bei dem die Energie der Lage im Schwerefeld (Schulunterricht, o Weh!) in Bewegungsenergie umgesetzt werden kann.

Beim Gehen nutzen wir das auch, nur fällt dabei der Körper nach vorn.
Das darf er jetzt nicht, denn dort steht der Partner.
Es geht also nur mit Absenken auf dem Standbein.
Senken wir zu wenig ab, kommen wir nicht schnell und weit genug vorwärts. Wie das mit der Energie genauer aussieht, werden wir im zweiten Teil des Beitrags sehen.

Ein schönes klassisches und klassisch einfaches Problem der Mechanik.

Es gibt ein schönes klassisches und klassisch einfaches Problem der Mechanik, welches wir uns zur Erholung noch ansehen sollten.
Stellen wir uns eine Mulde vor, an deren Rand wir eine Murmel legen. Die Murmel rollt hinein und an der gegenüberliegenden Seite wieder hoch.

Wie tief muss die Mulde sein, damit das möglichst schnell geht?

Ist die Mulde sehr flach, geht alles sehr langsam.
Ist die Mulde sehr tief, geht zwar alles schneller, aber der Weg für die Murmel wird dann sehr lang, und es ist auch wieder nichts.

Irgendwie muss es eine besonders günstige Tiefe geben.

Das Problem ist schon vor über 200 Jahren gestellt und gelöst worden, als Tanzen zu zweit noch gar nicht hoffähig war (von Leonhard Euler, der mit dem   e hoch iπ = -1  ).

Die günstigste Tiefe der Mulde ist etwa die Hälfte ihres Durchmessers.

Wenn wir an einen Schritt von 1 m Länge denken, könnten wir bis zu 50 cm absenken, um schwungvoller zu werden: Da wären wir schon fast auf den Knien.
So weit kann niemand gehen, aber wir sehen, dass im Absenken auf dem Standbein immer Reserven für schwungvolleres Tanzen vorhanden sind.
Und wenn Sie mit ihrer Kamera ein kleines Video von sich machen, erkennen Sie: Was Ihnen beim Tanzen übertrieben erscheint, ist auf dem Video kaum zu sehen.

 

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Aktualisiert: 21.12.2009