1
Physik im Standard-Tanzen: Energie und Bewegung.
Gastbeitrag: Prof. Dr. Dierck-Ekkehard Liebscher
Redaktion: Kerstin Lange
Fotos:
Porträt Prof. Dr. Liebscher: Zur Verfügung gestellt von Prof. Dr. Liebscher
Übrige sowie Bearbeitung & Grafik: Helmut Römhild
hat nichts mit mit irgendwelchen Energien zu tun, die wir fühlen,
die uns durchströmen, die wir in uns freisetzen etc., sondern mit einer objektiv messbaren Größe (Einheit Wattsekunde oder
Kilowattstunde).
|
In einem stabilen Zustand hat die Energie einen Wert, der nicht mehr verringert werden kann:
das System kann keine Energie abgeben, nur Energie von außen aufnehmen.
Energie ist die Größe, deren
Zufuhr allein das System im Gleichgewicht veranlassen kann,
seinen stabilen Zustand zu verlassen.
Geht es dabei um äußere Bewegung, ist mit der Energiezufuhr auch Impulszufuhr (das heißt Kraft) verbunden.
Im Fall des Menschen geht es um ein ziemlich instabiles System.
Das muss auch so sein, damit er sich aus eigenem Antrieb in Bewegung setzen kann.
Es sind die 90 cm, die der Schwerpunkt über seiner Tiefstlage
gehalten wird, die eine Umschichtung zwischen der Energie der Lage im Schwerefeld und der kinetischen Energie der Bewegung erlauben.
Die Energie der Lage (im bodennahen Schwerefeld der Erde) wächst linear mit der Höhe über dem Boden,
die Energie der Bewegung quadratisch mit der Geschwindigkeit.
Das Absenken des Schwerpunkts um 10 cm stellt der Bewegung soviel
Energie (1 J pro kg Körpergewicht) zur Verfügung, dass sich aus dem Stand eine Geschwindigkeit vo 140 cm/s entwickeln kann.
Das reicht für den Diagonalsatz durchaus.
Die Kraft, die nun noch nötig ist, wird nur zur Lenkung des Schwerpunkts aus der Abwärts- in die Vorwärtsbewegung gebraucht.
Diese Kraft würde zur Energiebilanz nichts beitragen, wären unsere Muskeln elastische Federn.
Das sind sie nicht, und deshalb muß auch in den Muskeln chemische Energie umgesetzt werden.
Es bedarf nun aber nur einer minimalen Umsetzung, weil eben der entscheidende Teil der Bewegungsenergie aus dem Absenken kommt.
Bewegungen, die sich ergeben und nicht gestartet werden müssen.
Der Wiener Walzer ist der Tanz, an dem am einfachsten zu sehen ist, dass sich Bewegungen ergeben
und nicht gestartet werden müssen.
Mit einem Augenzwinkern kann man sagen, dass der Wiener Walzer ein Tanz
ohne Drehungen ist, genauer ein Tanz, in dem man nicht drehen muss, sondern in dem man gedreht wird, und das gilt ganz offensichtlich bei den Rechtsdrehungen,
die im Englischen deshalb auch natural turns heißen.
Es geht einfach immer nur vorwärts.
Da sich die Partner gegenüberstehen, darf keiner (von sich aus) rückwärts tanzen, er
würde ja die Tanzhaltung zerstören. Rückwärts tanzt man nicht,
rückwärts muss man getanzt werden.
Die Initiative muss immer
der vorwärts Tanzende übernehmen.
Halbrechts vor ihm steht der Partner, der links überholt wird.
Dabei ergibt sich die Rechtdrehung von selbst.
Wir kennen das von der sanften Strömung eines Baches, der
am Ufer etwas langsamer ist als in der Mitte.
Blätter auf dem Wasser müssen sich dann in Ufernähe immer
drehen.
Mit dem Rückwärtsschritt, auf den der rückwärts Tanzende geschoben wird, muss dieser seinen
Partner vorbeilassen oder -führen.
Nach jedem Takt ist der Partner an der Reihe, Initiative und Vorwärtsdrang
zu entwickeln. So ergibt sich ohne Mühe ein einfacher Dialog.
Wenn man schon zählen muss, dann also nicht
“eins zwei drei eins zwei drei”, sondern: “ich bin dran du bist dran”.
Das wechselseitige Überholen ist auch Grundbewegung bei der Linksdrehung.
Allerdings steht hier der Partner auf der ‘falschen’ Seite und der Herr hat es nicht mehr in der Hand, das Platzmachen zu erzwingen.
Der Herr darf zwar Rechtsdrehungen aus eigener Initiative führen, nicht aber Linksdrehungen: Dabei öffnete
er die Haltung.
Wie Marcus Hilton in einem seiner YouTube-Auftritte sagt, kann der Herr die Dame
nur einladen, eine Linksdrehung zu tanzen.
Ausführen muss sie die Dame, damit die Haltung geschlossen bleibt.
Die Linksdrehung ergibt sich also aus Sicht des Herrn nicht ganz von allein:
Er muss seine Partnerin überzeugen, sonst wirds nix.
Bis hierher ist alles ganz schlichte Physik, gegen die niemand etwas unternehmen kann.
Kunst und Stil übernehmen es nun, die feineren Techniken zu finden und zu entwickeln, die den natürlichen Lauf durch bewusste
Haltung und Bewegung unterstützen und glätten: Fußstellungen, Drehungsgrade, Dehnungen im Körper und anderes.
©: Ballroom Website, 2010
Aktualisiert: 21.2.2010